Was Katz und Maus mit Fokus zu tun haben
An einem heißen Sommertag, an dem es draußen viel zu warm war, hielt sich ein Mädchen in der Scheune auf, baute Höhlen im Heu, sprang vom höchsten Querbalken ins lose Stroh oder lag einfach nur da und hing den eigenen Gedanken hinterher. Plötzlich hörte sie ein knabberndes Geräusch in der Ecke, in der die Säcke mit dem Hafer standen. Sie setzte sich auf, um genauer hören zu können. Das Geräusch war verstummt, doch sie war sich sicher, dass es eine Maus gewesen sein musste, die begonnen hatte, ein Loch in den Hafersack zu knabbern.
Kurzerhand lief sie auf die Wiese und suchte eine der Katzen, die oft im hohen Gras herumlagen. Sie fand eine der namenlosen getigerten, die kaum auseinander zu halten waren.
Zurück in der Scheune setzte sie die Katze auf den Boden in der Nähe der Säcke mit dem Pferdefutter und deutete der Katze die Richtung, in die sie ihre Aufmerksamkeit richten sollte. Zu ihrem Glück spitzte diese sogleich die Ohren, spannte ihren Körper an. Wie versteinert richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Stelle. Das Mädchen war sicher, dass sie in diesem Moment weder das Gepipse der jungen Schwalben hörte, die über ihren Köpfen nach Futter schrien, noch dass sie das frisch eingelagerte Heu wahrnahm, dass in so vielen Facetten roch, dass man es kaum hätte beschreiben können. Dafür vernahm sie jedes Zucken der Maus einige Zentimeter vor sich.
Dann musste alles schnell gehen. Zuerst zog das Mädchen die Katze weg und lenkte sie ab, indem sie eine Kartoffel hinter sich warf, dann rückte sie an der Stelle, die die Katze fixiert hatte, einen Eimer zur Seite – und schon lief die Maus, auf der Suche nach einer sicheren Umgebung, los. Es war nur ein halber Meter, doch das Mädchen war flink, packte die Maus an der Schwanzspitze und stand auf. Die Maus bäumte sich nach oben und zur Seite, doch weil das Mädchen sie nur an der Schwanzspitze hielt, war sie sicher vor den unangenehmen Bissen.
Sie entdeckte den Heuwagen, eine etwas größere Karre mit flach ansteigenden Seitenwänden, etwas größer und höher als bei einer Schubkarre. Dort setzte sie die Maus hinein, um die zu beobachten und das unbeschreiblich weiche Fell zu streicheln.
Doch sie wurde abgelenkt, weil die Katze offensichtlich die nächste Maus entdeckt hatte. Ihre gefangene Maus konnte weder gefressen werden noch weglaufen, also entschied sie sich, ihre Fangkünste ein weiteres Mal zu testen. Und nochmal und nochmal. Nach einer Weile befanden sich vier Mäuse im Heuwagen.
Normalerweise würde sie die Mäuse wieder freilassen, wie immer, wenn sie eine Maus vor der Katze gerettet hatte.
Diesmal jedoch drängte sich ihr eine Frage auf.
„Was wäre, wenn ich die Katze in die Mitte des Heuwagens setze? Für welche Maus entscheidet sie sich und warum?“
Kurzerhand nahm sie die Katze und setzte sie inmitten der Mäuse. Wie erwartet gerieten diese in Panik und versuchten die Wände hochzulaufen, von denen sie jedoch nach der halben Strecke wieder hinunterrutschten, weil sie keinen Halt fanden.
Doch das Interesse des Mädchens war auf das Verhalten der Katze gerichtet. Denn diese begann eine Maus nach der anderen zu fixieren und drehte sich hin und her, im Kreis und wieder zurück. Sie vermochte es nicht, sich eine der Mäuse zu schnappen, obwohl sie vier Stück direkt vor sich hatte. Sie war nicht in der Lage einen Fokus zu setzen. Stattdessen verbrauchte sie viel Energie damit, sich immer wieder für einen kurzen Moment einer Maus zuzuwenden, um dann eine andere in den Blick zu nehmen.
Das Mädchen befreite schließlich zuerst eine Maus nach der anderen, und als diese sicheren Unterschlupf gefunden hatten, auch die Katze.
Ihr Leben lang hatte sie die sich drehende Katze im Kopf, wenn sie selbst in einer Situation war, in der sie mehrere Dinge gleichzeitig zu tun gehabt hätte. Immer wenn sie sich gewahr wurde, dass sie sich wie die Katze im Kreis drehte, kam sie so zu ihrer Fähigkeit zurück, den Fokus zu halten, und konnte ihre ganze Energie, volle Hingabe und Zielgerichtetheit stets in eine Aufgabe einbringen und diese vollenden.
Analyse:
Das Mädchen erlebt beim Beobachten der Katze zunächst den absoluten Fokus, wie diese regungslos, alles andere ausblendend, die Maus fixiert. Nur schwer kann sie sie davon abbringen. Sie muss sie zur Seite schieben, ehe sie sich von der geworfenen Kartoffel ablenken lässt.
Das Mädchen selbst benötigte volle Konzentration auf die Maus, um sie auf der kurzen Strecke zu erwischen und sie dann so zu packen, dass sie vor den Bissen geschützt ist.
In ihrem Experiment mit den vier Mäusen und der Katze in der Mitte erkennt sie, was mit der Fähigkeit, einen Fokus halten zu können, geschieht, wenn mehrere direkte Reize gleichzeitig auf einen einwirken.
Beim Arbeiten ergeht es uns in vergleichbarer Weise. Je mehr Dinge wir im Kopf haben, desto weniger Konzentration, Hingabe und Vollendungskraft steht uns pro Aufgabe zur Verfügung.
Erlangen wir darüber Erkenntnis und werden uns unserer Situation gewahr, wenn wir mehrere Dinge gleichzeitig im Kopf haben, die alle um unsere Aufmerksamkeit buhlen, dann können wir Maßnahmen ergreifen, uns immer nur einer Sache zu widmen mit allem, was wir in dem Moment zu geben vermögen.
Und wenn wir dieses Wissen nicht nur für uns selbst anwenden, sondern auch in Situationen mit anderen, einem Gegenüber oder einem Sprecher in einer Gruppensituation, werden Sie erstaunt sein, was das mit demjenigen und mit der ganzen Schwingung im Raum macht.

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